Maja Schäfer ist der Kopf hinter den Recruitingerfolgen der DRK Kliniken Berlin. Ein Gespräch über professionelle Personalgewinnung, das nötige Mindset und die Bedeutung von Transparenz.
Sie beschäftigen fast 4.000 Mitarbeitende, wie hoch ist Fluktuation, d.h. wie viele Stellen müssen jedes Jahr besetzt werden?
Bei den DRK Kliniken Berlin ist die Recruitingabteilung außerhalb der Personalabteilung und außerhalb der Unternehmenskommunikation als eigenständige Abteilung angelegt. Ich kann im Bewerbermanagementsystem Kennzahlen wie die Anzahl der Bewerbungseingänge, die Konversionrate von Bewerbungen zu Einstellungen oder die Time to hire messen. Die Zahl der Einstellungen misst dagegen die Personalabteilung, sie lag in den letzten beiden Jahren bei etwa 800 im Jahr. Eine Fluktuationsstatistik führen die Pflegedienstleitungen für ihre Standorte. Ich kann sagen, dass wir im Jahr knapp 10.000 Bewerbungen und rund 250 Stellenausschreibungen bearbeiten, wobei auf die Ausschreibungen teils mehrere Personen eingestellt werden.
Da haben Sie ja reichlich zu tun. Wie groß ist denn Ihr Team?
Es gibt mich als Leiterin in Vollzeit, eine Teilzeit-Recruiterin und einen Teilzeit-Werkstudenten. Außerdem hatten wir zeitweise eine Integrationscoachin für ausländische Pflegekräfte bei uns angedockt. Die Stelle ist aber inzwischen ins Büro der Pflegedienstleiterin gewechselt, weil eine engere Zusammenarbeit notwendig war. Und wir hatten in den vergangenen drei Jahren ein Team aus vier Pflegekräften, die je einen Tag die Woche für kreative Aufgaben freigestellt waren und viel für das Recruiting gemacht haben. Sie gehörten auch zu meiner Abteilung, aber dieses Projekt ist jetzt erst einmal ausgelaufen.
Direkt in Ihrem ersten Jahr bei den DRK Kliniken Berlin steigerten Sie die Bewerberzahlen im Vergleich zum Vorjahr um 152 Prozent. Was war die größte Veränderung im Recruitingprozess, die Sie vorgenommen haben?
Wie bei vielen anderen Unternehmen bestand das Recruiting vorher daraus, dass jemand in der Personalabteilung neben anderen Aufgaben altmodisch getextete Stellenanzeigen geschaltet hat. Es gab eine Social Media-Agentur, die Facebook recht lieblos bedient hat. Und es war gerade ein Bewerbermanagementsystem angeschafft worden, das allerdings noch nicht vollumfänglich genutzt wurde. Es war sehr unsortiert, was ich dort vorgefunden habe. Arbeitgeberinformationen gab es in einer Unterrubrik auf der Corporate Website.
Ich habe das Recruiting insgesamt professionell aufgesetzt. Dazu gehört ein eigenes Karriereportal, das ich konzipiert habe, und die Optimierung des Einsatzes des Bewerbermanagementsystems. Ich habe für die Mangelberufe die niedrigschwellige Bewerbung über ChatBot, WhatsApp und Schnellbewerbung eingeführt – ohne Motivationsschreiben, nur mit kurzem Lebenslauf und Berufsurkunde.
Die Stellenanzeigen wurden komplett überarbeitet, locker formuliert, die Du-Ansprache und Gehaltsangaben eingeführt. Die Social Media-Arbeit habe ich selbst übernommen und Instagram und LinkedIn zusätzlich ins Portfolio aufgenommen. Wir bespielen die sozialen Netzwerke ausschließlich für die Zielgruppe Bewerber*innen.
Ich habe noch viele weitere Maßnahmen ergriffen, dazu reicht der Platz hier nicht, das können Sie in meinem Blog nachlesen.
Haben Sie denn im ersten Schritt eine Bestandsaufnahme, Mängelliste und ein Konzept geschrieben?
Ich bin eher ein Machertyp und arbeite gern agil. Ich mag es nicht, erst einmal Konzepte zu schreiben. Bereits im Vorstellungsgespräch habe ich klargestellt, dass ich viel Freiraum brauche. Der wurde mir zugesagt und das wurde auch tatsächlich so eingehalten. Jede Idee kann ich sofort umsetzen.
Über welche Kanäle erreichen Sie die Bewerber*innen am besten?
Wichtig ist, suchmaschinenoptimiert zu denken. Man braucht ein Karriereportal, das Raum für redaktionelle Inhalte bietet. Denn Webseiten, auf denen ständig etwas Neues passiert, ranken besser als statische. Es braucht Stellenanzeigen, die inhaltlich und technisch auf Google Jobs zugeschnitten sind. Wenn man da die Basisarbeit leistet, muss man hinterher nicht mehr so viel Geld ausgeben, um in Stellenbörsen oder Recruiting Apps zu schalten.
Stellenanzeigen befruchten sich gegenseitig in Sachen Reichweite. Es ist deshalb wichtig, dass man keine Extrastrategie für die Pflege fährt und die Ärzte über andere Kanäle abwickelt.
Die wichtigsten Faktoren sind aber nicht die Kanäle, sondern die Erreichbarkeit und die Emotionalität. Ich habe das beim Radio gelernt, wo meine Karriere begann. Dort haben Hörer angerufen, die ich nicht kannte. Ich musste trotzdem ganz schnell eine Nähe herstellen, ein freundschaftliches Miteinander. Und das mache ich bei den Bewerbern genauso. Sie melden sich über WhatsApp, wir schreiben ganz locker mit ihnen, verschicken Emojis, machen Komplimente für das Profilfoto und stellen so schnell eine Bindung her. Es geht um das Mindset, diese Herzlichkeit im Umgang mit den Bewerbern, die uns von anderen abhebt.
Als Fußballfan interessiert mich natürlich besonders, ob Sie auch die Karte „Eisern Union“ spielen?
Ja, im Personalmarketing für den Standort Köpenick machen wir das. Da gibt es eine Kooperation, die Mitarbeiter*innen können Freikarten bekommen. Und es gibt ein FC-Union-Zimmer, das mit Merchandisingmaterial von Union eingerichtet ist.
Außerdem sprechen Sie auf Ihrem Karriereportal von einen Skateboardpark …
Wir haben eine Kooperation mit der Skatehalle Berlin. Unsere Mitarbeitenden bekommen dort kostenlose Skatekurse oder werden zu Veranstaltungen eingeladen, wo sie Autogramme von Olympioniken bekommen können. Eine Kinderkrankenschwester von uns hat Erste Hilfe-Kurse für die Mitarbeiter der Skatehalle Berlin gegeben. Wir wollen zeigen, dass wir Teil der Stadt Berlin sind und über den Tellerrand der Gesundheitsversorgung hinausschauen. Mit diesem Projekt heben wir uns deutlich von anderen Arbeitgebern ab.
Das Thema „Leiharbeit“ beschäftigt die Branche. Ihnen ist es gelungen, dass es 2021 am Standort Köpenick keine Leasingkräfte mehr auf den peripheren Stationen gab. Spart man also das Geld, das man zusätzlich ins Recruiting investiert wurde, dadurch wieder ein?
Die Pandemie hat die Situation leider wieder verschärft. Aber es ist mein Ziel, Leasing und Personalvermittlung an unseren Kliniken ausmerzen. Denn wir schneiden uns damit ins eigene Fleisch. Kurzfristig wird eine Lücke gestopft, langfristig zerstören wir die Stimmung in den Teams. Man kann sich aber von den Leasingfirmen etwas abgucken, nämlich gutes Marketing. Sie haben deshalb so viel Zulauf, weil sie aufmerksamkeitsstarkes Marketing machen und einen guten Bewerberservice. Das ist nichts, was wir nicht inhouse genauso gut machen könnten. Ich erlebe immer wieder Bewerber*innen, die es bereuen, zu einer Leasingfirma gegangen zu sein, und nun in die Festanstellung zurück möchten. Das ist aber nicht so einfach, weil wir eine Ablösung bezahlen müssten und das lehnen wir ab. Als gemeinnütziges Unternehmen können wir uns diese Preisspiralen nicht leisten.
Gibt es Zielgruppen, die Sie im Recruiting besonders ansprechen, bspw. Männer oder Alleinerziehende?
Wir versuchen, mit der Lupe ins Unternehmen reinzugehen und Identifikationsfiguren für verschiedene Zielgruppen zu finden. Heute wird eine alleinerziehende Mutter interviewt, die drei Kinder hat und dennoch in der Notaufnahme im Schichtdienst tätig ist. Morgen stellen wir einen Arzt vor, der gerade von einem dreiwöchigen Einsatz in der Ukraine zurückkommt. Die Bewerber*innen schätzen unsere ausführlichen Mitarbeitergeschichten sehr.
Haben Sich die Bewerberzahlen durch Ihre Methoden, u.a. auch die transparente Nennung der Gehälter, messbar erhöht?
Wie Sie selbst bereits sagten, haben wir im ersten Jahr eine Steigerung von 152 % der Bewerberzahlen gemessen, ein Jahr später konnten die Bewerberzahlen um weitere 3 % gesteigert werden. Wir haben den Anteil der Bewerber aus dem Bereich Pflege- und Funktionsdienst (Mangelberufe) von 16 auf 30 % fast verdoppeln können. Natürlich geht das nicht ewig so weiter. Neue Recruitingmethoden sind wie Medikamente gegen multiresistente Keime. Man hat noch eine Handvoll neuer Möglichkeiten, um an Bewerber heranzutreten, aber man muss sie sehr bewusst einsetzen, denn sie sind nicht unendlich. Man muss daher parallel an Mitarbeiterbindungs- und Personalentwicklungskonzepten arbeiten.
Ihr Verbund hat erstaunlicherweise keine Probleme, seine Ausbildungsstellen zu besetzen. So haben die DRK Kliniken im letzten Jahr 1.800 Bewerbungen erhalten. Wie haben Sie das gemacht?
Die Ausbildung bei uns bzw. unser Bildungszentrum hat schon immer einen sehr guten Ruf. Wir profitieren u.a. von der Zugehörigkeit zum Deutschen Roten Kreuz, das jeder kennt. Ich habe dafür gesorgt, dass die Ausbildung auf unserem Karriereportal gut dargestellt wird. Die suchmaschinenoptimierten Stellenanzeigen für Ausbildungsplätze verbreiten sich von ganz alleine sehr gut, ich muss in keiner Azubibörse kostenpflichtig schalten. Außer Boys Day und Girls Day, Schülerpraktika und gelegentlichen Besuchen in Schulen ergreifen wir keine Akquise-Maßnahmen. Wir berichten aber natürlich im Karriereblog und in den sozialen Netzwerken umfangreich über die Ausbildung: über die Sanierung unseres Bildungszentrums, unser neues Anleitungskonzept, unsere Azubi Challenges, unsere Azubikonferenz, die von den Azubis selbst organisiert wird, oder die Übernahmequote von 100%, die wir kürzlich für einen Jahrgang vermelden konnten.
In der letzten Ausgabe des PFLEGEMARKT REPORTs stand „Ghosting“ im Mittelpunkt. Haben Sie damit auch Probleme?
Natürlich gibt es Bewerber, von denen man plötzlich nichts mehr hört. Aber das sehe ich nicht so kritisch. Erstens erleben die Bewerber genauso Unternehmen, die sich nie auf ihre Bewerbung zurückmelden. Das passiert selbst uns, obwohl wir alles daransetzen, eine gute Bewerberkommunikation zu machen. Aber bei 10.000 Bewerbern im Jahr verliert man immer wieder mal jemanden aus den Augen. Die Bewerber*innen sind in der privilegierten Situation, sich den Arbeitgeber aussuchen zu können, und wenn sie sich entschieden haben, vergessen sie dann eben mal, ein Vorstellungsgespräch abzusagen. Oder sie reagieren nicht auf eine E-Mail, weil E-Mail heute nicht mehr der bevorzugte Kommunikationsweg ist. Meistens liegt der Fehler eher beim Unternehmen, das sich nicht auf die modernen Rahmenbedingungen einstellen kann.
Berlin ist hipp und für viele Menschen als Wohnort attraktiv – sind Ihre Recruitingansätze auch auf Krankenhäuser in Kleinstädten und auf dem Land übertragbar?
Kleinere Arbeitgeber auf dem Land haben durchaus auch Vorteile. Wir haben hier in Berlin eine starke Konkurrenz, gegen die wir uns als Arbeitgeber durchsetzen müssen. Auf dem Land ist man in einem größeren Umkreis vielleicht das einzige Krankenhaus. Außerdem ist man als kleines oder mittelständisches Unternehmen wendig und kann eine moderne Recruitingstrategie schneller einführen als ein großer Tanker. Natürlich müssen die Schritte individuell angepasst werden, aber das, was ich beschrieben habe, ist unter allen Rahmenbedingungen umsetzbar.
Abschließende Aufgabe für Sie, Frau Schäfer: Nennen Sie mir bitte 5 Begriffe, die aus Ihrer Sicht am besten erfolgreiches Recruiting beschreiben!
Schnelligkeit. Emotionalität. Anders sein. Transparenz. Strategie.
Jörg Mielczarek
Chefredakteur
Mit dem Pflegemarkt Report verfolgen ich und mein Team das Ziel, den Pflegenotstand in Deutschland sichtbar zu machen. Aktuelles, Erfahrungsberichte und Trends sollen Entscheidern dabei helfen, ihre Personalgewinnung zu stärken.
Darüber hinaus schlägt mein Herz für die Literatur der Weimarer Republik und meinen Heimatverein Rot-Weiß Ahlen.
Vernetzen Sie sich gerne mit mir auf LinkedIn.